Wer ist hier eigentlich der Bewerber?

In Zeiten des Fachkräftemangels entsteht schnell der Eindruck, dass sich Unternehmen bei Bewerbern bewerben müssen. So falsch ist diese Annahme gar nicht, leider wird dadurch ein etwas verzerrtes Bild der Realität gezeichnet, das sich nicht in euren Köpfen festsetzen sollte. Ein Verständnis des gesamten Marktes hilft es euch die eigene Karriere auf immer neue Stufen zu heben.

Warum lohnt es sich trotzdem reinzuhängen?

Wie kommt dieser Artikel zustande

Ich habe sehr viele Bewerbungsprozesse betreut und auch ungeschönte Feedbacks der Personalverantwortlichen bekommen. Niemand würde sich öffentlich darüber äußern, denn natürlich sollte kein Arbeitgeber so über seine Bewerber sprechen. Unter Vier Augen spricht man dann aber doch ganz offen über seine Erlebnisse und Sorgen mit den Kandidatinnen. Ich schreibe diesen Artikel um euch für euer Verhalten zu sensibilisieren, nur durch ein Verständnis der Prozesse (und der Gegenseite) schafft Ihr perspektivisch einen Aufstieg und nicht nur einen Jobwechsel.

Die schlimmsten Erlebnisse

In sehr angespannten Bewerbermärkten erlebt man, dass sich Bewerber hofieren lassen und sich teilweise sehr daneben benehmen („Die wollen ja was von mir“). Das Phänomen erlebt man tendenziell eher bei jüngeren Bewerberinnen, die zudem einer sehr gesuchten Berufsgruppe angehören (z.B. Rechtsanwaltsfachangestellte) und an einem Ort mit extremen Personalmangel wohnen (z.B. Ballungsräume wie München oder Frankfurt). Diese Gruppe ist umschwärmt von Arbeitgebern und Personalberatern und (theoretisch) kann man sich aussuchen, wo man arbeiten möchte. Das kann zwei Ausprägungen haben, die einen Bewerber gehen offen an den gesamten Markt heran und picken sich den besten Arbeitgeber heraus (“Schlaraffenland”), die anderen werden arrogant und lassen sich hofieren. “Was bieten Sie mir wenn ich hier anfange?”- hat tatsächlich mal ein Bewerber gefragt.

Wie kommt das bei Unternehmen an

Die Sichtweisen der Unternehmen sind hier natürlich auch gemischt, gerade Professional Services Firms sind sich der Situation bewusst und machen sich attraktiv für Bewerberinnen. Man muss jedoch dazu sagen, dass alle ihre Grenzen haben und die Spielchen der Bewerber nicht ohne Ende mitmachen. Bevor man sich alles bieten lässt verteilt man Aufgaben um, stellt an einem anderen Standort jemanden ein, holt sich Werkstudenten oder wartet einfach ein paar Monate ab. Das ist ein gefährlicher Fehlglaube der Bewerber, Unternehmen müssen dich nicht einstellen, nur weil du selten bist und erst recht nicht um jeden Preis.

Der große Fehlglaube

Die geschilderte arrogante Bewerbergruppe ist zunächst pikiert von der “Dreistigkeit” der Unternehmen und sieht sich nach Alternativen um, schließlich kann man ja überall arbeiten. Der Markt der Unternehmen teilt sich grob in 3 Kategorien, schlechte Arbeitgeber, vernünftige Arbeitgeber und tolle Arbeitgeber. Die tollen Arbeitgeber spielen diese Spielchen nicht mit, denn sie überzeugen durch überdurchschnittliche Gehälter, einen guten Umgangston, interessante Perspektiven usw. Kurzfristig mag man vielleicht keinen Bewerber finden, mittelfristig aber auf jeden Fall. Die tollen Arbeitgeber stellen dann einfach niemanden ein und warten ab, früher oder später lässt sich dieses Problem aufgrund der guten Ausgangssituation (attraktiver Arbeitgeber) auf jeden Fall lösen. Wer interessiert sich also für die arroganten “Was bieten Sie mir”-Bewerber? Diejenigen, die damit arbeiten müssen, weil sie sonst keine Bewerber kriegen. Das sind im Normalfall die schlechten und mittelprächtigen Arbeitgeber. Der arrogante Bewerber wird somit in seiner Haltung bestärkt, weil er sich zwischen einer Vielzahl von B- und C-Arbeitgebern entscheiden kann. In seiner unendlichen Ignoranz sieht er jedoch nicht, dass die wirklich guten A-Arbeitgeber für ihn unerreichbar sind. Dennoch fühlt er sich als Gewinner. Wir sehen hier also, es kommt stark auf die Perspektive an, wie man den Arbeitsmarkt sieht.

Wie profitieren alle?

Bitte nicht falsch verstehen, Bewerber die Forderungen stellen oder Wünsche äußern sind vollkommen legitim, wenn du wegen der Kinder flexible Arbeitszeiten brauchst oder sich ein Wechsel unter 4.000 Euro nicht lohnt sind das nachvollziehbare Gründe. Auch die guten Arbeitgeber reißen sich um die guten Bewerber, ein Bewerbungsgespräch ist heutzutage meistens gegenseitiger Natur. Also kurzum: Ein Bewerber darf durchaus die Eckdaten eines Wechsels skizzieren, er muss ja nicht wechseln. Wichtig ist es nur, nicht in eine arrogante “Was bieten Sie mir”-Haltung zu kommen bei denen das Unternehmen zu einem richtigen Bittsteller degradiert wird. Zum Glück sind diese schlechten Bewerber mit starker Verhandlungsposition eher die Ausnahme als die Regel, deswegen können alle gut damit leben.

Fazit

Letztlich bleibt es dir überlassen, wo du dich bewerben möchtest und was deine Ziele sind. Du tauscht Lebenszeit gegen Geld, wenn du für dich nicht die beste Variante herausholen möchtest weil du dich lieber hofieren lässt ist das deine Sache. Die guten Unternehmen wollen auf jeden Fall Bewerber, die den Prozess ernst nehmen und auch durch Engagement nachweisen, dass sie ein ernstes Interesse an der Position haben. Es kostet weitaus weniger Energie sich einmal richtig reinzuhängen und die nächsten 6 Jahre bei einem A-Arbeitgeber zu bleiben als in den nächsten Jahren bei 3 Schrott-Firmen zu arbeiten. Ich hoffe, ich konnte euch ein bisschen sensibilisieren und auch Verständnis für die Gegenseite schaffen.

moritzblog_redakteur

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