Was taugen Internetbewertungen zur Vorauswahl?

Wer auf der Suche nach einem Job ist hat meistens einen guten Grund und möchte es vermeiden vom Regen in die Traufe zu kommen. Da macht es natürlich Sinn vorher alles über den neuen Arbeitgeber in Erfahrung zu bringen, das klingt jedoch leichter als es in der Praxis ist. Früher oder später landet man bei den großen Arbeitgeber-Bewertungsportalen und lässt sich entweder falsch abschrecken (Unternehmen ist eigentlich besser), Blenden (Unternehmen ist schlechter) oder die Eindrücke sind korrekt. Wir möchten euch für den Umgang mit diesen Portalen sensibilisieren, indem wir euch nötiges Hintergrundwissen liefern.

Wer bewertet überhaupt?

Wann schreibt man überhaupt eine Bewertung, sei es für Arbeitgeber, Restaurants oder Hotels? Meistens wenn man dem Betrieb einen reinwürgen möchte oder wenn es außerordentlich gut war, also tendenziell eher bei Extrem-Positionen wie besonders gut oder besonders schlecht. Die Plattformen belohnen einen nicht für die Bewertung, beim Arbeitgeber wird man aufgrund der Anonymität auch nicht für positive Bewertungen gelobt, wo bleibt also der Mehrwert sich anzumelden? Richtig, man hat nichts davon, deswegen bewerten häufiger unzufriedene Mitarbeiter ein Unternehmen. Der “Gewinn” ist hier “denen” eins reingewürgt zu haben.

Das Standorte-Problem

Bei unserer Branche, den Beratungsunternehmen, kommt es oft vor, dass die Kanzlei oder Beratung mehrere Niederlassungen hat mit je recht geringer Kopfzahl. Es ist sehr schwierig anhand dieser Daten generalisierte Aussagen über ein Unternehmen zu treffen. Ich habe häufig erlebt, dass zum Beispiel Standort Frankfurt schreckliche Ratings hat, aber die Büros von München und Hamburg richtig empfehlenswert sind. Wenn der Standort Frankfurt überproportional oft negativ und die anderen Büros nicht positiv bewertet werden, senkt das enorm den Durchschnitt. Als Konsequenz werdet ihr euch zum Beispiel nicht beim Münchener Büro bewerben, obwohl es alle eure Vorstellungen erfüllt.

Das Partner-Problem

Eine weitere Besonderheit ergibt sich bei Beratungsunternehmen in der Partnerschaftsgesellschaft. Meistens sind diese Unternehmen tatsächlich unter mehreren Partnern aufgeteilt, die in irgendeiner Form mitreden können – es gibt eher selten Alleinherrscher. Nachdem nun alle etwas mitzureden haben kann es durchaus sein, dass der schlechte Ruf von Kanzlei X oder Unternehmensberatung Y von nur einer Person rührt. Das Problem: Der Name steht in den Bewertungen nicht dabei, deshalb kann das ein Outsider nicht wissen. Wer in der Branche gut vernetzt ist, kann viele Insights auf dem kurzen Dienstweg erfahren, dazu dienen ja auch persönliche Netzwerke.

Repräsentativität der Daten

Angenommen du kaufst einen neuen Fernseher in einem Online-Shop, würdest du dich für ein Gerät entscheiden, dass nur eine 5 Sterne Bewertung hat? Wohl kaum, warum ist das dann bei Arbeitgebern anders? Statistisch gesehen stehen diese Bewertungen auf enorm wackeligen Beinen, die Grundgesamtheit ist nicht bekannt, die Stichprobe ist nicht zufällig ausgewählt und die Gesamtzahl der Abstimmungen ist auch eher gering. Das menschliche Gehirn tendiert dazu die Informationen überzubewerten, die für einen selbst relevant sind. Nachdem die Sorge in ein schlechtes Unternehmen zu kommen groß ist, werden natürlich auch die negativen Reviews überbewertet. Dazu kommen psychologische Effekte wie der Primacy-Effekt – d.h. die oberste Review bleibt im Gedächtnis, wenn diese schlecht ist, ist das ganze Unternehmen schlecht. Die Urteilsbildung verläuft hier schlichtweg fehlerhaft, was aber ganz und gar der menschlichen Eindrucksbildung zuzuordnen ist. Glaube also nicht alles was du liest und sei dir den Fehlern in deiner Urteilsbildung bewusst.

Beide Extreme denkbar

In der Praxis habe ich beide Extreme erlebt, es kann sein, dass ein schlecht bewertetes Unternehmen ein guter Arbeitgeber ist und dass Horror-Firmen Top Bewertungen haben. Arbeitgeber können zudem Bewertungen herausklagen oder Druck auf die Plattformen ausüben, die Aussagekraft sinkt natürlich dadurch. Manchmal kommt es auch vor, dass die “schlechten Zeiten” bereits Jahre zurückliegen und die Stimmung inzwischen wieder gut ist – nicht jeder Arbeitgeber setzt sich aktiv mit diesen Plattformen auseinander.

Welche Alternativen gibt es?

Es gibt allgemeine Auszeichnungen wie Great Places to Work, die gute Arbeitgeber prüfen und auszeichnen, es fehlen jedoch sehr viele Professional Services Firms aufgrund ihrer Größe oder weil sie sich nicht zertifiziert haben. In der Consulting-Branche gibt es immer wieder Arbeitgeber-Auszeichnungen für Kanzleien oder Unternehmensberatungen, leider richten sich diese aber eher an die Berufsträger, also die Steuerberater, Anwälte oder Unternehmensberater – die Aussagekraft für die Support-Kräfte muss daher nicht identisch sein.

Fazit

Wenn du keine persönlichen Kontakte hast ist es relativ schwierig von außen in ein Unternehmen reinzuschauen. Die Entscheidung von nicht-validen Online-Bewertungen abhängig zu machen halte ich für falsch. Wenn das Unternehmen durchgehend und viele 1-Sterne-Bewertungen hat würde ich vielleicht auch nicht vorsprechen wollen, wenn die Feedbacks durchwachsen sind, würde ich mir immer ein persönliches Bild machen.

moritzblog_redakteur

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